Künstliches Knie-Gewebe soll im Kampf gegen Arthritis helfen

Kunststoff-Kügelchen Photo: Salvatore Girardo

Kunststoff-Kügelchen Photo: Salvatore Girardo

Logo des Flamin-Go Projekts

Logo des Flamin-Go Projekts

Forscher aus Europa und der Türkei bauen in einem von der Europäischen Union mit knapp sechs Millionen Euro geförderten Projekt Gewebe aus dem Knie nach - auf einem Biochip. Das Ziel: besser zu verstehen, was bei Entzündungen wie einer rheumatischen Arthritis in dem Gelenk passiert, Wirkstoffe zu testen, die vor weiteren Schäden schützen, sowie maßgeschneiderte Therapien für jeden Patienten zu entwickeln. Mit dabei sind Wissenschaftler*innen vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts aus Erlangen. 

 

Ein entzündetes Knie kann sehr schmerzhaft sein – und im schlimmsten Fall müssen Ärzte das Gelenk durch eine Prothese ersetzen. Häufig handelt es sich dabei um eine rheumatische Arthritis, bei der das Abwehrsystem des Körpers das eigene Gewebe angreift. Diese Form der Autoimmunkrankheit betrifft nicht nur die Kniee, sondern kann jedes Gelenk befallen. Insgesamt sind hierzulande laut Deutscher Gesellschaft für Rheumatologie rund 500.000 Menschen an entzündlichem Gelenkrheuma erkrankt, europaweit sogar 2,9 Millionen. 

Es gibt zwar Medikamente gegen Arthritis, diese bekämpfen aber nur die Symptome und wirken nicht bei allen Patient*innen gleich gut. Daher hat sich ein Konsortium aus 13 Forschungsinstitutionen und Unternehmen aus der Europäischen Union, Großbritannien, der Schweiz und der Türkei im Projekt Flamin-Go zusammengeschlossen (From pathobioLogy to synoviA on chip: driving rheuMatoId arthritis to the precisioN medicine GOal). Die Partner unter Führung der Università del Piemonte Orientale aus dem norditalienischen Vercelli wollen eine innovative, schnelle und kostengünstige Alternative zu aufwändigen klinischen Studien mit Versuchspersonen etablieren. Eine Schlüsselrolle in dem Vorhaben spielt dabei das Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (MPL) aus Erlangen. Am 4. Und 5. Februar findet jetzt das offizielle Kick-Off-Meeting statt.

 

Kunststoffkügelchen werden zu mechanischen Sensoren direkt im Gewebe

 

Die Forscher*innen werden einen Biochip bauen, in dem das Gewebe eines Gelenkes wachsen soll – komplett samt Knorpel, Knochen sowie Blutgefäßen und -zellen. Das Ausgangsmaterial stammt aus den Gelenken von Patient*innen. Was eine für jede Person maßgeschneiderte individuelle Therapie ermöglicht.

Salvatore Girardo, Leiter der Technologieentwicklungs- und Servicegruppe Lab-on-a-chip Systems am Erlanger MPL, und seine Kolleg*innen entwickeln für das Projekt spezielle, flexible Kunststoffkügelchen mit exakt definierten Eigenschaften. Diese dienen als mechanische Sensoren, die Informationen über die im Gewebe wirkenden Kräfte liefern und die mit den sie umgebenen Zellen wechselwirken können. Dabei werden sie verformt, was ein Maß für den Druck ist, der im Gelenk herrscht. Die acht bis 25 Mikrometer kleinen Kügelchen (ein Mikrometer entspricht einem Tausendstel Millimeter) verhalten sich ähnlich wie menschliche Zellen, sie verformen sich so, wie es etwa weiße Blutkörperchen tun.

Mechanische Kräfte spielen im Gelenk eine große Rolle, weil sie dazu beitragen können, das bereits angegriffene Gewebe weiter zu schädigen. Die Forscher*innen werden die künstlichen Kugeln mit fluoreszierenden Farbstoffen markieren, um sie im Gewebe aufspüren und deren Verformung messen zu können. Zudem markieren sie die Kunststoffgebilde mit speziellen Rezeptoren, damit diese mit genau definierten Zellen im Körper wechselwirken. Auf die selbe Weise ermöglichen die Gebilde zu untersuchen, wie physikalische Eigenschaften von Zellen (etwa Größe, Verformbarkeit) das Einwandern von Abwehrzellen ins entzündete Gelenk beeinflussen. Die Erlanger Forscher erhalten mehr als 250.000 Euro für diesen Teil von Flamin-Go. Insgesamt investiert die Europäische Union im Rahmen des Horizon 2020-Programms 5,8 Millionen Euro in das Vorhaben.

Die Forscher*innen verfolgen in dem Projekt zwei Ziele: Sie wollen besser verstehen, warum Patienten zum einen so unterschiedlich auf Medikamente gegen Arthritis reagieren und zum anderen suchen sie nach Biomarkern, die einen Hinweis darauf geben, welcher Wirkstoff einem Erkrankten helfen könnte. Bisher sind die Mediziner*innen auf Versuch und Irrtum angewiesen, wenn sie das beste Medikament für einen Betroffenen suchen. 10 bis 20 Prozent der Arthritis-Patienten hilft heute sogar keine einzige der vorhandenen Therapien.

Die Wissenschaftler*innen hoffen mit ihrem Chip schneller als bisher mögliche neue Wirkstoffe erproben und so wenigstens einen Teil der teuren, aufwändigen und langwierigen Studien mit Versuchspersonen ersetzen zu können. Das ultimative Ziel: eine individuelle Therapie für jeden Patienten und jede Patientin.

 

Die Flamin-Go-Forscher*innen werden Patient*innen mit rheumatischer Arthritis Gewebeproben entnehmen und die Zellen in einem Biochip züchten. Sie wollen so herausfinden, welche Medikamente am besten wirken. Grafik: Flamin-Go

Die Flamin-Go-Forscher*innen werden Patient*innen mit rheumatischer Arthritis Gewebeproben entnehmen und die Zellen in einem Biochip züchten. Sie wollen so herausfinden, welche Medikamente am besten wirken. Grafik: Flamin-Go

Back

Kontakt

Edda Fischer

Leitung Kommunikation und Marketing
Telefon: 09131 7133 805
MPLpresse@mpl.mpg.de

 

Max-Planck-Zentren und -Schulen