Forscher entdecken: So können sich Mikrotubuli in wachsenden Nervenzellen organisieren

Damit Nervenfasern (Neurone) im Körper Proteine und andere wichtige Materialien entlang ihrer ableitenden Fasern (Axone) transportieren können, ist ein gerichtetes Transportsystem notwendig. Dieses System besteht aus stäbchenförmigen Molekülen, den Mikrotubuli. Wie sich Mikrotubli innerhalb wachsender Axone gezielt ausrichten, konnten nun Forscher der University of Cambridge und des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin erstmals durch eine Kombination aus molekularbiologischen Methoden, physikalischer Modellierung und Computersimulationen nachweisen.

Damit der Mensch mit den Zehen wackeln kann, müssen Nachrichten vom Gehirn zum Fuß gelangen, was bei vielen Erwachsenen eine Strecke von weit über einem Meter bemisst. Ermöglicht wird dies durch Zellen des Nervensystems, die Neurone. Sie übertragen elektrische Signale entlang ihrer gestreckten Zellfortsätzen, den sogenannten Axonen. Axone können nur dann vernünftig funktionieren, wenn alle erforderlichen Moleküle, die im Zellkörper des Neurons produziert werden, auch bis zum anderen Ende des Neurons – also bis zum Ende der Axone – transportiert werden. Der Transport dieser Moleküle erfolgt entlang langer, stäbchenförmiger Makromoleküle, den Mikrotubuli. Sie fungieren als gerichtetes Transportsystem entlang dessen Moleküle im Axon transportiert werden - entweder zum Zellkörper hin oder vom Zellkörper weg.

Mikrotubuli kann man sich als asymmetrische Stäbchen vorstellen. Ein Ende – das so genannte Plus-Ende – ist dynamisch und kann wachsen oder schrumpfen, während das andere Ende – das so genannte Minus-Ende – stabil ist. Für einen effizienten Transport entlang des Axons, müssen die Mikrotubuli mit ihrem Plus-Ende in Richtung des Axonendes ausgerichtet sein. Mikrotubuli in wachsenden Neuronen nehmen diese Ausrichtung an, wie sie jedoch erreicht wird, ist nicht vollständig geklärt.

Um die Grundlagen dieses zellulären Phänomens zu verstehen, untersuchten Maximilian Jakobs (University of Cambridge), Assaf Zemel (Hebrew University of Jerusalem) und Kristian Franze (University of Cambridge, FAU Erlangen-Nürnberg & Max Planck Zentrum für Physik und Medizin) das Verhalten von Mikrotubuli in sich entwickelnden Neuronen von Fruchtfliegenlarven. Mit Hilfe eines fluoreszierenden Proteins, das Licht aussendet, sobald die Mikrotubuli wachsen, konnten die Forscher das Wachstum der Plus-Enden der Mikrotubuli und ihre Ausrichtung in Axonen sichtbar machen. In ihren Experimenten zeigte sie, dass Mikrotubuli, die mit ihrem Plus-Ende zum Axonende hin ausgerichtet waren, weniger oft schrumpften als solche mit entgegengesetzter Orientierung. Infolge dessen wuchsen diese Mikrotubuli länger und der Anteil der korrekt ausgerichteten Mikrotubuli im Axon wurde erhöht.

Die Behandlung von Neuronen mit Nocodazol, welches das Wachstum von Mikrotubuli stört, oder mit Natrumchlorid, das zu einer Änderung des osmotischen Drucks führt, führte zu einem reduzierten Wachstum von Mikrotubuli und zu einer weniger einheitlichen Ausrichtung der Mikrotubuli im Axon.  Diese Daten deuteten auf einen Zusammenhang zwischen Mikrotubuli-Wachstum und ihrer einheitlichen Ausrichtung in Axonen hin.

Zusammenfassend: Es wurde gezeigt, dass Proteine, die das Wachstum von Mikrotubuli regulieren und in der Axonspitze angereichert sind, wie z.B. das Protein p150, wichtig für die einheitliche Ausrichtung von Mikrotubuli in neuronalen Axonen sind. Wird das Wachstum der Mikrotubuli gehemmt, wird auch ihre einheitliche Ausrichtung gestört, die für die Funktion gesunder Neurone essentiell ist.

Im nächsten Schritt wurde untersucht, ob bestimmte axonale Proteine an diesem Prozess beteiligt sind. So ist das Protein p150 beispielsweise an der Axonspitze angereichert und verringert die Schrumpfungsrate der Mikrotubuli. Mit Hilfe molekularer und genetischer Methoden wurde die p150-Konzentration in Fruchtfliegen verringert, wodurch Mikrotubuli, deren Plus-Ende zur Axonspitze zeigt, öfter schrumpften und so weniger lang wuchsen. Diese Rolle von Proteinen, die in der Axonspitze angereichert sind, erklärt zusammen mit zuvor entdeckten Mechanismen, wie sich Mikrotubuli in Axonen unidirektional ausrichten.

Die Erkenntnisse der Wissenschaftler eröffnen neue Wege für die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson – diese könnten auf eine Störung des Transports entlang der Mikrotubuli in Neuronen zurückzuführen sein

Original Publikation: Maximilian AH Jakobs Assaf Zemel Kristian Franze (2022) Unrestrained growth of correctly oriented microtubules instructs axonal microtubule orientation eLife 11:e77608.

https://doi.org/10.7554/eLife.77608


Bild (Nachdruck mit Genehmigung von Maximilian AH Jakobs et al., elifesciences.org 2022): Bild eines Neuros einer D. melanogaster aufgenommen mit einem Expansion-Mikroskopie; Mikrotubuli gelb gefärbt.

 

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